Das europäische Projekt ist nie nur ein wirtschaftlicher Zusammenschluss europäischer Staaten gewesen. Die Integration gründet sich vielmehr auf gemeinsame europäische Werte wie die Achtung der Menschenwürde, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit. Das europaweite Verbot von jeglicher Folter und der Todesstrafe ist Ausdruck dieser europäischen Wertegemeinschaft. Es ist nicht nur im deutschen Grundgesetz, sondern auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union fixiert.
Dieser Grundsatz sollte jedoch nicht nur dafür gelten, wie die EU-Institutionen und die EU-Mitgliedstaaten mit ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern umgehen. Wenn europäisches Handeln Wirkung außerhalb der EU entfaltet, darf dem Ziel der Abschaffung von Folter und Todesstrafe nicht zuwider gehandelt werden. Denn auch wenn immer mehr Staaten weltweit per Gesetz oder faktisch die Todesstrafe abschaffen, verzeichnete Amnesty International für 2015 einen weiteren Anstieg von Hinrichtungen in der ganzen Welt. 2014 stellte die Organisation nach Recherchen fest, dass mehr als 82 Prozent aller Staaten Folter eingesetzt haben.
Elektroschocker, Reizgase und Medikamente, die bei Hinrichtungen verwendet werden, gelangen auch aus der EU in solche Länder, die sich noch nicht von Todesstrafe und Folter abgewendet haben. Ein nicht hinnehmbarer Zustand! Bereits 2006 hatte die Europäische Union daher eine Verordnung erlassen, die den Handel europäischer Unternehmen mit Gütern, die ausschließlich zu Folterzwecken, zur Vollstreckung der Todesstrafe oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe dienen, verhindern sollte. Da das Gesetz in der Praxis Schlupflöcher offenbarte, hat das Europäische Parlament im Oktober eine Reform der bestehenden Anti-Folter-Verordnung beschlossen, die bereits Anfang 2017 in Kraft treten wird. Unsere sozialdemokratische S&D-Fraktion konnte den ursprünglichen Kommissionsvorschlag in zentralen Punkten verbessern.
Wichtiges Element der neuen Verordnung ist ein verbesserter Informationsaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Er soll verhindern, dass verbotene Güter aus der EU exportiert werden oder EU-Staaten für den Transit von Gütern missbraucht werden. Das Transitverbot sowie ein ausnahmsloses Werbeverbot – online und offline – für Foltergüter wurden auf Initiative des Europäischen Parlaments in die Verordnung aufgenommen. Wenn Unternehmen Produkte exportieren, die nicht ausschließlich für Folter oder zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet werden, beispielsweise Schlagstöcke oder Elektroschocker, so benötigen sie dafür eine Ausfuhrgenehmigung. Zukünftig müssen sie einwandfrei nachweisen, an wen und für welchen Gebrauch die Produkte verkauft werden. Alle Exporte müssen nationalen Kontrollstellen gegen Folter gemeldet werden. Auch der Export von Dienstleistungen beispielsweise im Finanz- oder Transportbereich, die die Verbreitung von Gütern begünstigen, die zu Zwecken der Folter oder Hinrichtung genutzt werden, werden durch die neue Verordnung beschränkt.
Wichtig ist außerdem, dass die Regelung genug Flexibilität ermöglicht, um auf neue Entwicklungen und Techniken bei Foltermethoden zu reagieren. So kann die EU-Kommission zukünftig ein Produkt kurzfristig auf die Liste potentiell problematischer Exporte setzen, wenn der Verdacht besteht, dass es für Hinrichtungen oder Folter gebraucht werden könnte. Durch die Verordnung wird eine Koordinationsgruppe eingesetzt, die die Umsetzung und Anwendung der neuen Regelungen überwacht. Die nationalen Regierungen müssen ihr regelmäßig über die Entwicklungen in ihrem Land berichten.
Die Anti-Folter-Verordnung zeigt, welchen Einfluss die EU durch ihre Handelspolitik weltweit nehmen kann. Sie ist ein bedeutender globaler Akteur und kann mit ihren Partnern globale Standards setzen, die Todesstrafe und Folter den Kampf ansagen. Die EU-Kommission hat daher nun auch sogenannte Güter mit doppeltem Verwendungszweck („dual use“) in den Fokus genommen. Bei diesen Gütern handelt es sich beispielsweise um Überwachungstechnik, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann. Es soll erreicht werden, dass solche Produkte nicht an diktatorische Regime geliefert werden können, die diese für die Überwachung und Verfolgung von Menschenrechtsaktivisten einsetzen. Ein Vorschlag der EU-Kommission für einen Gesetzestext soll in Kürze vorgelegt werden. Unsere Fraktion begrüßt diesen Schritt ausdrücklich, denn Wettbewerbsfähigkeit darf nicht alleinige Antriebskraft der europäischen Handelspolitik sein. Mit allen verfügbaren Mitteln müssen wir dafür sorgen, dass inhumane Praktiken und Menschenrechtsverletzungen weltweit ein Ende finden.