
Bis zu zehn Jahre Haft und eine Million Euro Geldstrafe. Das wäre die mögliche Höchststrafe für Antoine Deltour, der als ehemaliger Mitarbeiter einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Luxemburg den „Lux Leaks“-Skandal ins Rollen gebracht hat. Vorgeworfen wird ihm und einem ehemaligen Kollegen unter anderem die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Die Übermittlung von tausenden Seiten von Dokumenten an einen Journalisten hat aufgedeckt, wie Luxemburg multinationale Unternehmen mit Steuervergünstigungen ins Land gelockt hat. Amazon, Ikea oder Coca-Cola konnten so Milliarden an Steuern sparen. Ein Sonderausschuss im Europäischen Parlament, in dem ich stellvertretendes Mitglied bin, arbeitet bis heute das ganze Ausmaß auf.
Verkehrte Welt: Während wir dank dem mutigen Deltour einen Einblick hinter die Kulissen der Steuer-Deals gewinnen konnten, steht dieser vor Gericht. Ende dieses Monats wird das Urteil gegen ihn, seinen Kollegen und einen Journalisten erwartet. Dies zeigt, dass Whistleblower, die illegitime Aktivitäten ihrer Arbeitgeber aufdecken und im öffentlichen Interesse handeln, bisher nicht ausreichend geschützt sind.
Dies haben wir Sozialdemokraten im Europäischen Parlament bereits seit längerem angeprangert. Wir konnten nun einen ersten wichtigen Schritt hin zu einem umfassenden Schutz von Whistleblowern erreichen. Die Europäische Kommission hatte 2013 einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie zu europäischen Mindeststandards für den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen vorgelegt. Im Vordergrund stand hier das Ziel der Kommission, europäische Unternehmen vor Industriespionage zu schützen, denn dies ist enorm wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Firmen. Im Vorschlag wurden die Interessen der Unternehmen jedoch zu einseitig betont. Wir Sozialdemokraten konnten in den Verhandlungen mit den anderen Fraktionen im Europäischen Parlament und auch mit Kommission und Rat signifikante Verbesserungen erzielen.
Arbeitnehmer, die ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit in ihrem Unternehmen aufdecken und damit das allgemeine öffentliche Interesse schützen, sind auf Druck der Sozialdemokraten vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Sie müssen daher zukünftig keine Strafe aufgrund von Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen befürchten.
Es handelt sich künftig auch nicht um den Verrat eines Geschäftsgeheimnisses, wenn Angestellte ihren Vertretern, wie Gewerkschaften oder Betriebsräten, Informationen im Rahmen von Tarifvertragsverhandlungen offenlegen. Arbeitnehmer können ihre im Rahmen ihrer Arbeit erworbenen Fertigkeiten bei einem Unternehmenswechsel anwenden, ohne dass dies als Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen gilt.
Ein weiterer Punkt spielte bei unseren Debatten eine wichtige Rolle. Journalisten sahen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Information durch den Kommissionsvorschlag beeinträchtigt und befürchteten, dass Journalisten auch verfolgt werden könnten, wenn sie Informationen verwenden, die ein Fehlverhalten in Unternehmen aufdecken. Diese Sorgen haben wir Sozialdemokraten ausgeräumt, in dem wir einen ausdrücklichem Verweis auf die Grundrechtecharta der Europäischen Union zum Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit im Text der Richtlinie verankern konnten.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden uns weiter dafür einsetzen, den Schutz von Whistleblowern und Journalisten zu erhöhen. Whistleblower decken nicht nur Fälle auf, die angebliche Geschäftsgeheimnisse in Unternehmen berühren. Es können auch Informationen betroffen sein, die das Amtsgeheimnis oder andere Schweigepflichten betreffen. Daher bedarf es eines eigenen Rechtsrahmens, der alle Formen der Weitergabe von Informationen, die im allgemeinen öffentlichen Interesse liegen, rechtlich schützt.
Die EU-Staaten müssen die Richtlinie zu den Geschäftsgeheimnissen binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Dabei können die Mitgliedstaaten in ihrer Gesetzgebung noch über die nun beschlossenen Mindeststandards in Bezug auf den Whistleblower-Schutz hinausgehen. Deltour und Co. werden hiervon leider noch nicht profitieren können, wir müssen hier auf ein mildes Urteil hoffen. Für die Zukunft aber müssen wir sicherstellen, dass niemand aus Angst vor Strafverfolgung nicht über Missstände informiert, deren Aufdeckung im Interesse des Allgemeinwohls liegt.