Polnische Erntehelfer, rumänische Pflegerinnen im Privathaushalt oder spanische Maurer auf der Baustelle: In der Europäischen Union sind mehr als zwei Millionen Beschäftigte entsandt, sie arbeiten also für einen begrenzten Zeitraum in einem anderen EU-Mitgliedstaat, als in dem sie normalerweise tätig sind. Dies geschieht auf Basis der so genannten EU-Entsenderichtlinie, die seit 1996 existiert.
Dieses europäische Rahmengesetz sollte eigentlich gewährleisten, dass auch für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Löhnen, Arbeitszeiten, Arbeitsschutz und anderen tariflichen Vereinbarungen Mindeststandards gelten. EU-Kommissionspräsident Juncker formulierte den Anspruch zuletzt bei seiner Rede zur Lage der Union: „In einer Union der Gleichen kann es keine Arbeitnehmer zweiter Klasse geben. Menschen, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, sollten das gleiche Gehalt bekommen.“
Tatsächlich bietet die Richtlinie jedoch nur einen schwachen Schutz. Ein belegtes Beispiel aus Deutschland, in dem fast eine halbe Million entsandte Beschäftigte arbeiten, verdeutlicht das: Beschäftigte eines slowenischen Bauunternehmens haben in zwei Monaten mehr als 1.400 Stunden auf einer Großbaustelle in München gearbeitet. Dafür erhielten sie nach Abzügen nur 844 Euro pro Person. Nach einer Beschwerde wurde ihnen fristlos gekündigt, ihre vom Arbeitgeber gestellte Unterkunft mussten sie räumen.
Von einer Gleichstellung in- und ausländischer Beschäftigter kann also bisher keine Rede sein. Dazu sind die vorgeschriebenen Mindeststandards für entsandte Beschäftigte zu niedrig. Sie werden oft unter Tarif bezahlt, machen Überstunden und können von heute auf morgen entlassen werden. Darüber hinaus gilt keine Obergrenze für die Dauer der Entsendung. Das heißt: Der entsandte Beschäftigte muss so lange im Ausland bleiben, wie es sein Arbeitgeber bestimmt. Eine ursprüngliche Ausnahmesituation ist so zur unsäglichen Normalität geworden.
Schon lange kämpfen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dafür, das zu ändern. Im Rahmen der Überarbeitung der Entsenderichtlinie, die derzeit im Europäischen Parlament diskutiert wird, haben wir drei Hauptziele:
- Gerechtigkeit schaffen, um Lohn- und Sozialdumping bei entsandten Beschäftigten zukünftig zu verhindern.
- Kriminalität und Schamlosigkeit bekämpfen, damit dubiose Firmen nicht Gesetzes- und Umsetzungslücken der Richtlinie ausnutzen können, um sich auf Kosten von Beschäftigten zu bereichern.
- Fairen Wettbewerb gewährleisten. Firmen, die ihren Beschäftigen faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen bieten, dürfen nicht weiter benachteiligt werden.
Die Europäische Kommission hat im März 2016 einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie vorgelegt. Dieser enthält gute Ansätze, muss aber an vielen Stellen noch nachgebessert werden. Im Beschäftigungs- und Sozialausschuss des Europäischen Parlaments konnten wir bereits einen wichtigen Zwischenerfolg erringen. Die Abgeordneten im Fachausschuss haben den Verhandlungsführern ein starkes Mandat für die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten auf den Weg gegeben.
So konnten wir unter anderem erreichen, dass das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ ab Tag Eins der Entsendung gelten soll. Somit wären auch regionale und branchenspezifische Tarifverträge für entsandte Beschäftigen gültig. Auch die Kosten für Transport zum Arbeitsort und Unterbringung sollen nicht – wie bisher – vom Lohn abgezogen werden dürfen. Mitgliedstaaten soll es künftig auch ermöglicht werden, über die Mindeststandards für entsandte Beschäftigte hinauszugehen, was ihnen bisher nicht möglich war.
Die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten über einen gemeinsamen Gesetzestext haben nun begonnen. Schon im Vorfeld hat der Ministerrat einige unserer Verbesserungen aufgegriffen, bis zu einer Einigung ist es jedoch noch ein langer Weg. So ist es unserer Meinung nach ein Unding, dass ausgerechnet das Transportgewerbe gesondert behandelt werden soll, obwohl die Arbeitsbedingungen dort oft skandalös sind. Hier wird es noch viel Gesprächsbedarf mit den Ministern geben.
Trotz aller Hindernisse: das Ziel „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ ist erstmals in greifbare Nähe gerückt. Unser Verhandlungsauftrag ist klar: Wir wollen Lohn- und Sozialdumping bei der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU stoppen und faire Regeln im europäischen Binnenmarkt durchsetzen.